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Mitdenkende Mode

Sie findet partout keine passende Kleidung für sich. Also fängt Meriem Lebdiri an, Entwürfe zu zeichnen. Heute ist sie Pionierin in ihrer Branche.

von Stella Kennedy

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„Mode zeigt, wer du wirklich bist“, sagt Meriem Lebdiri. Doch was, wenn auch religiöse Zugehörigkeit Teil ist, von dem, was du wirklich bist? Für die heute 35-jährige Designerin aus Germersheim in der Pfalz setzt diese Erkenntnis einen Stein ins Rollen. Sie ist Jugendliche, als sie beginnt einen Hidschab zu tragen, ein Kopftuch. Die geliebten bauchfreien Wickelblusen und luftigen Röcke mit nacktem Bein: Keine Option mehr für sie.

So beginnt Meriem zu zeichnen. All das, was sie sich an Kleidung erträumt: modische Röcke, die man doppelt wickelt, damit die Beine nicht mehr nackt sind. Eine Bluse mit zwei Lagen Stoff, den man in den Rock steckt. Sie malt große Muster und strahlende Farben. Auf ihrem Skizzenblock entsteht Mode, die die Jugendliche in keinem der üblichen Läden für religiöse Bekleidung findet. Ihre Mutter hilft ihr, die ersten Teile zu nähen, der Rest ist Geschichte. Diese Geschichte.

Die Kleidung, die Meriem Lebdiri für sich designt, hat heute einen Namen: Modest Fashion. Das ist Mode für Frauen, die sich gerne bedecken möchten. Die Nachfrage danach wird Marktforschern zufolge in den kommenden Jahren auf ein Volumen von Hunderten Milliarden Euro weltweit wachsen.

In Deutschland ist Meriem mit ihrem gleichnamigen Label eine der Vorreiterinnen dieser Mode. Ihr Fokus: „nachhaltige Luxusmode, die Frauen repräsentiert und mitdenkt, die bisher nicht repräsentiert und mitgedacht wurden“. Vergangenes Jahr zeichnet sie der Business Insider als eine von 25 „Zukunftsmacherinnen“ aus, 2018 wird sie mit der Auszeichnung „Kulturund Kreativpilotin“ der Bundesregierung für Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft geehrt.

Stärke gewinnen

„Mein erstes Stück war ein Wickelrock mit großen blauen Blumen und dazu eine karierte Wickelbluse“, sagt sie. „Ich habe mich plötzlich so stark gefühlt und gemerkt: Ich will das für immer machen.“ Über das Erfolgserlebnis hinaus, ihr Glück in die eigene, zeichnende Hand zu nehmen, wächst in Meriem ein Wunsch: „Mir war wichtig, dass auch andere jungen Frauen hierzulande sich nicht mehr modisch für eine Richtung entscheiden müssen.“

Die Richtung, von der Meriem spricht, ist die zwischen Ost und West. Zwischen den westlichen Modetrends; den Farben, der Freizügigkeit – und den Schleiern, Tüchern und Lagen des muslimischen Ostens.

Zwar ist es lang her, dass sie als 6-Jährige mit ihren Eltern aus Algerien nach Deutschland floh, doch wird sie von ihren Wurzeln noch immer inspiriert. Ihre Designs zeigen, wer sie ist: ein Kind beider Welten. Eine stolze Muslima, eine geborene Algerierin, eine erfolgreiche Deutsche. Eine Modedesignerin.

Nach der Ausbildung zur Designerin bringt sie Ende 2012, damals noch mit ihrem ersten Modelabel „Mizaan“, was sie mit ihrer Schwester betreibt, ihre erste Kollektion auf den Markt. Sie erstellt eine Facebookseite und wundert sich über die vielen Followerinnen, die sie über Nacht bekommt. Sie stellt Bilder ihrer Stücke online und wird dann nach Washington eingeladen. Ihr erster Erfolg ist international. „2018 stand ich nach einer Show in Dubai auf der Bühne und dachte mir: So jetzt hast du alles erreicht, jetzt kannst du dir auch mal das „good life“ gönnen. Danach hatte ich ein Burnout.“

Die Frau mit dem Lachen in der Stimme, der man ihre Herkunft, ob Nordafrika oder Pfalz, nicht anhört, rappelt sich wieder auf. „Das waren die härtesten Jahre meines Lebens“, sagt sie über die Zeit, in der sie wochenlang bis in die Nacht an den Stücken ihrer Kollektion sitzt, zeichnet, schneidet, näht.

„Meine Familie nennt mich nicht umsonst schon seit Kindheitstagen Picasso“. Durchs Zeichnen findet sie zu neuer Kraft. Neustart. Ihr erstes Label, das mit dem Namen „Mizaan“, weicht einem Neuen, das ihren Namen trägt. Klare Schnitte, fließender Stoff, satte Farben: Heute entsteht in Meriem Lebdiris Mannheimer Atelier Mode im Premiumsegment.

Die miteinbeziehen, die bisher außen vor waren

In Deutschland wird Meriem zur Modest Fashion Ikone und lebendes Beispiel für die Art der Teilhabe, die sie sich wünscht: „Das heißt für mich, dass jeder ein Recht hat, am Geschehen wie der Modebranche zu partizipieren, dabei zu sein und mitgedacht zu werden“.

Es nervt sie, wenn Modeunternehmen dafür werben, Kleidung für fülligere Frauen oder Modest Fashion anzubieten – die Beteiligten selbst aber nicht in die eigentliche Projektentwicklung einzubinden. „Mittlerweile gibt es in allen Bereichen Expert:innen von uns. Wir wollen den Prozess mitgestalten – oder gleich selbst in die Hand nehmen!“. Nur dann sei das Produkt auch authentisch und richtig, wie sie sagt.

Was die Zukunft bringt? Meriem ist Optimistin. „Zu wissen, dass ich meinen Töchtern ein Vorbild bin, treibt mich an“. Sie will ihnen zeigen, dass man zwar fallen kann, „aber im Endeffekt alles, was man dazu braucht, die Situation zu ändern und wieder aufzustehen, in einem selbst liegt“. Ihre Töchter werden groß in einem Deutschland, dessen Diversität immer sichtbarer werden darf. In einem Land, in dem Religionen auf Individualismus prallen und Kleider immer noch „Leute machen“.

Der Stoff, aus dem wir als Gesellschaft gemacht sind, ist aus Nylon und Seide und Baumwolle und Hanf. Ist lang und wallend und kurz und grell. Ist der Stoff, aus dem Träume sind.