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ANGST IST WIE WASSER

Die osteuropäische Literatur lebt von starken Frauen. Anita Harag (1988 in Budapest geboren) gilt als Neuentdeckung. Sie steht auf den Schultern von Ágota Kristóf (1935–2011) und Aglaja Veteranyi (1962–2002), die im Schweizer Exil um ihr Leben schrieben.

«Wer findet, hat nicht richtig gesucht», schrieb Aglaja Veteranyi einmal auf eine Postkarte. Sie schien sich selbst zu meinen: ein aus Rumänien geflohenes Mädchen, das 1977 als Analphabetin zusammen mit ihrer Familie in die Schweiz zog und alleine Deutsch zu lernen begann.

Die Autofiktion begleitete Veteranyi, so auch in ihrem erfolgreichen Debütroman Das Kind, das in der Polenta kocht. Ein Mädchen erzählt die Geschichte ihrer Zirkusfamilie, die vor der Diktatur Nicolae Ceaușescus aus Rumänien flieht. Der Vater ist gewalttätig und missbraucht das Kind. Dazu kommt die Angst um die Mutter, sollte sie eines Tages als Artistin von der Kuppel zu Tode zu stürzen.

Veteranyi brannte an beiden Enden. Sie wirkte als Autorin und Schauspielerin in Zürich und schrieb bis zu ihrem Selbstmord mit 39 Jahren um ihr Leben. Vom Literaturbetrieb einst als «Vielschreiberin» abgetan, fand sie mit ihrer schonungslosen Sprache und dem bissigen Humor ein wachsendes Publikum.

Ganz anders waren die Startbedingungen Ágota Kristófs. Sie las von Kindsbeinen an, machte Abitur und floh nach der Niederschlagung des Volksaufstands 1956 mit Ehemann und Kind in die Schweiz. Geld verdiente Kristóf zunächst als Fabrikarbeiterin in der Textil- und Uhrenindustrie, abends schrieb sie nach eigener Aussage «sentimentale Gedichte» in ihrer Muttersprache. 1962 begann sie an der Universität von Neuchâtel Französisch zu studieren.

Die fremde Sprache machte sie zuerst in Theaterstücken und Hörspielen zu ihrer literarischen Sprache. Kristóf eignete sich dabei eine «objektive Schreibweise» an, ohne sich um das «Innenleben der Figuren zu kümmern». Der Debütroman Le grand cahier wurde 1987 zum Livre Européen gekürt und gilt als Klassiker der Moderne. Auch hier wird aus der Kinderperspektive erzählt – von Zwilllingsbrüdern aus Ungarn, die gegen Kriegsende zu ihrer auf dem Land lebenden Grossmutter in «Sicherheit» gebracht werden und im Alltag der Grausamkeiten eines besetzten Landes überleben.

Anita Harag trägt die Traumata von Krieg und Diktatur in die Gegenwart. Im Erzählband Es ist zu kühl für die Jahreszeit schildert sie junge Frauen, die von Angst getrieben sind und nicht ins Leben finden. Da ist der seine Freundin beobachtende Liebhaber, der sie zum Schwimmen im Eiswasser der Donau zu überreden versucht. «Nur der erste Schritt ist schwer, dann wird es leichter.» Angst ist wie Wasser, sie findet immer einen Weg.

Béla Bartók (1881–1945) passt in keine Schublade. Er ist Ausdrucksmusiker und Konstruktivist, Komponist von Kunstmusik mit einer Hingabe an die Volksmusiken Ungarns und Rumäniens bis in die Türkei und nach Nordafrika. Aus dem glühenden Nationalisten wird im Zuge der Feldforschung ein Musiker humanistischer Prägung. Ungarns Rechte wirft ihm vor, «rumänische» und damit minderwertige Volksmusik aufzugreifen, und fordert ihn auf, die ungarische Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Im Oktober 1940 erreicht Bartók zusammen mit seiner Frau, der Pianistin Ditta Bartók, New York. «Ich bin ziemlich pessimistisch, ich habe mein Vertrauen zu Menschen, zu Ländern, zu allem verloren», so Bartók über sein Befinden im Exil. Dort schreibt er trotz Krankheit und finanzieller Not letzte bedeutende Werke (so das Konzert für Orchester) und bringt 1940 die funkensprühenden Kontraste zusammen mit dem Klarinettisten Benny Goodman und dem Geiger Joseph Szigeti zur Uraufführung.

FEDER UND BOGEN: BÉLA BARTÓK

DO, 9. NOV. 2023, 19.30 UHR ZKO-HAUS

Thomas Douglas Erzählung

Anina La Roche Konzept und Dramaturgie Musikerinnen und Musiker des Zürcher Kammerorchesters

Werke von Béla Bartók, Zoltán Kodály und Zeitgenossen

CHF 50