2 minute read

Tödliches Glissando

Ein Herzenswunsch von Daniel Hope geht in Erfüllung. Das Zürcher Kammerorchester wandelt sich zum Filmmusikorchester und begleitet vor der Leinwand im Kongresshaus Psycho.

TEXT CORINNE HOLTZ

PSYCHO MI, 9. MÄRZ 2022, 19.30 UHR KONGRESSHAUS ZÜRICH

Daniel Hope Music Director Anthony Gabriele Leitung Zürcher Kammerorchester

Bernard Herrmann Filmmusik zum Film «Psycho»

Grosses Abo, Kleines Abo CHF 110 / 100 / 85 / 60 / 35

Der Duschvorhang hat mit dem Kinostart von Psycho (1960) seine Unschuld verloren. Wer hinter sich den Vorhang zieht und den Wasserhahn aufdreht, nehme sich in Acht. Anthony Parkins alias Norman Bates, der Inhaber des Motels, könnte sich einschleichen und das Messer zücken. Während er zusticht, nochmal und nochmal, zeichnen panische Glissandi der Streicher das herabsausende Messer nach.

Hätte Alfred Hitchcock recht bekommen, wäre der Mord in der Dusche ohne Musik über die Bühne gegangen. Er überdachte in den Weihnachtsferien das Vorhaben, Psycho zum einstündigen Fernsehfilm zusammenzuschneiden, und hiess seinen Komponisten Bernard Herrmann, in der Zwischenzeit keinesfalls Musik für den Mord unter der Dusche zu schreiben.

Herrmann, als durchsetzungsfähiger und aufbrausender Charakter gefürchtet, umging das Verbot und wurde mit seiner Musik zu Psycho international bekannt. Vom Musikgeschmack seiner Regisseure, Hitchcock inbegriffen, hielt er mit einer Ausnahme nichts. «Alle Regisseure, ausgenommen Orson Welles, den grosse Musikkultur auszeichnet, führen sich wie ahnungslose Kinder auf.» Hitchcock, mit dem er bis zum Bruch nach zehn Jahren ambitioniertes Kino in die Welt setzte, würde jeden Film mit Schnulzen wie In a Monastery Garden unterlegen.

Psycho exponiert bereits im Vorspann eine an Strawinsky gemahnende Fluchtmusik, zu deren Klängen die Büroangestellte Marion Krane vor der Polizei flüchten wird. Sie ist mit 40 000 Dollars durchgebrannt und stundenlang im Auto unterwegs. Diese Szene muss mit dem Zeitraffereffekt inszeniert werden: in der realen Filmzeit dauert die Passage einige Minuten, in der Erlebniszeit des Zuschauers jedoch erheblich länger.

Dramatisch vertikal wirken in der Fluchtmusik der Rhythmus und die gehetzten Repetitionsfiguren der Streicher. Episch horizontal, im Dienste eines übergreifenden Handlungsbogens, sichert die Melodie der hohen Violinen den Zusammenhalt. Inzwischen ist es dunkel geworden und Marion fährt noch immer. Es beginnt zu regnen, Scheinwerfer blenden, die Fahrerin ist übermüdet. Nur die Musik pulsiert ungerührt weiter, und zwar im Takt der Scheibenwischer. An anderer Stelle geht Marion das Benzin aus, synchron zur Musik, die ebenfalls schweigt: eine Gelegenheit für eine kurze Pause in der Realzeit.

Herrmann war der bedeutendste aller US-amerikanischen Filmmusikkomponisten und begann als Musiker bei der Geige. Sein Gespür für die Abgründe und die Faszination für den Wahnsinn gipfelten in Musik, die das von der Hollywood-Industrie diktierte easy listening unterliefen. Zuletzt in Taxi Driver (1976) von Martin Scorsese, der Robert de Niro alias Travis Bickle auf die Fahrt durch den Grossstadtsumpf schickt.

Herrmanns Laufbahn begann in einem Kammerorchester, dem der Absolvent der Juilliard School of Music in New York als Dirigent und Programmgestalter vorstand. Dabei mutete er sich und dem Publikum etwa den Aussenseiter Charles Ives zu, einen damals unbekannten Komponisten, der Herrmanns erste Werke beeinflusste. 1934 bis 1951 dirigierte er das CBS Symphony Orchestra und schrieb neben seinen Arbeiten für den Film auch Musik für den Konzertsaal. Der «reine Filmmusikkomponist» sei eine Erfindung des amerikanischen Studiosystems, die Trivialisierung des Genres würden deren Musikdirektoren und Tune Specialists vorantreiben, war Herrmann überzeugt. Ein Glück, dass er sich nicht vereinnahmen liess und mit der Musik in Psycho und dem gespenstischen Leitmotiv f-es-d aus aufsteigender Septime und absteigender None ein atemraubendes Kinoerlebnis vervollständigt.