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PASSIONEN –LEID UND LEIDENSCHAFT

Der Begriff der Passion ist erstaunlich vielschichtig. Wird er heute oft im Englischen, durchaus positiv konnotierten Sinne der Leidenschaft verwendet, fand er im Mittelalter als Bezeichnung des Berichts vom Leidensweg Jesu Einzug in die deutsche Sprache – und begründete eine lange musikalische Gattungstradition.

Bachs Matthäus-Passion, die vor allem durch Mendelssohns Wiederaufführungen die neuzeitliche Rezeption des Komponisten entscheidend geprägt hat, gilt als einer der bedeutendsten Beiträge zu dieser Gattung und erfreute sich schon früh grosser Beliebtheit. Die Alt-Arie «Erbarme dich, mein Gott», die im Geschehen um die Auslieferung Christi und den Verrat durch Petrus angesiedelt ist, nimmt in ihr eine zentrale Stellung ein. Die Reue Petrus’ und seine Bitte um Gotteserbarmen kommentiert der Librettist Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, in der Arie in einem heilsgeschichtlichen Kontext. Wohl nichts mit österlicher Botschaft und christlicher Liturgie zu tun hat dagegen Haydns Sinfonie Nr. 49, auch wenn ihr Beiname La Passione, der freilich nicht von Haydn selbst stammt, dies vermuten lassen könnte. Doch verdient hat sie ihn allemal, sticht das Werk in Haydns sonst oft humorvollen Sinfonik durch seinen äusserst düsteren, schmerzhaften und melancholischen Charakter hervor. Alle vier Sätze stehen in der Tonart f-Moll, die der Musiktheoretiker Johann

Mattheson als eine der dunkelsten Tonarten einstufte. Dass Haydn das Adagio, den mit Abstand längsten Satz, an den Anfang der Sinfonie stellt, unterstreicht diesen Duktus. Ein Motiv aus vier Tönen bildet die Keimzelle, aus der sich die ganze Sinfonie entwickelt und die so alle Sätze miteinander verbindet. Abwechslung schafft Haydn hauptsächlich durch verschiedene Tempi – und nicht zuletzt durch einen merkwürdig rustikal anmutenden Dur-Einschnitt im Trio des Menuetts. Möglicherweise zielt der im 18. Jahrhundert viel geläufigere Beiname Il quakuo di bel humore (Der gutgelaunte Quäker) gerade auf diese ironische Brechung im Trio ab.

Eine Leidenschaft fürs Cello

Dass die Kammermusik für Streichinstrumente in Luigi Boccherinis Schaffen einen zentralen Stellenwert einnimmt, kommt nicht von ungefähr, ist es doch stark geprägt von seiner Passion für das Cellospiel. Seine Karriere entspricht dem gängigen Muster «vom kom- ponierenden Virtuosen zum virtuosen Komponisten». Diese Leidenschaft brachte auch zahlreiche Cellokonzerte hervor. Die genaue Anzahl kann heute zwar nicht mehr rekonstruiert werden, zumindest sein Konzert Nr. 9 fand aber neben Haydns beiden Konzerten seinen Platz im heutigen Repertoire. Boccherinis Cellokonzerte, so auch das etwas weniger bekannte D-Dur-Konzert, folgen den zu seiner Zeit gängigen Modellen, jedoch auf höchstem technischen Niveau und mit grösster Virtuosität. Im Gegensatz zu Boccherini scheint Max Bruchs Verhältnis zum Cello zwiespältiger Art gewesen zu sein. So hat er sich zunächst geweigert, nach den Erfolgen seiner Violinstücke auch für Cello zu komponieren. Ein gutes Stück Überzeugungsarbeit musste der Cellist Robert Hausmann leisten, bevor sich Bruch dazu entschliessen konnte, das Adagiostück Kol Nidrei zu schreiben. Dieses beruht auf einer Gebetsmelodie, die am Vorabend der jüdischen Versöhnungsfeier Jom Kippur nach zehn Tagen der Reue gesungen wird – der Kreis zur österlichen Passion schliesst sich somit.

HOPE UND ISSERLIS

DI, 5. DEZ. 2023, 19.30 UHR

TONHALLE ZÜRICH

Steven Isserlis Violoncello

Daniel Hope Music Director

Zürcher Kammerorchester

Johann Sebastian Bach «Erbarme dich, mein Gott», aus: Matthäus-Passion, BWV 244

Luigi Boccherini Cellokonzert Nr. 6 D-Dur, G 479

Max Bruch Kol Nidrei, op. 47, arrangiert für Violoncello und Streichorchester von Mischa Maisky

Arvo Pärt Fratres für Violine, Streichorchester und Schlagzeug

Joseph Haydn Sinfonie Nr. 49 f-Moll, La Passione, Hob. I:49

CHF 110 / 100 / 85 / 60 / 35