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Die Tonart flaschengrün

Was geschieht mit uns, wenn wir Musik hören? Vielleicht sehen wir Farben und Formen oder nehmen Gerüche war. Im Wandelkonzert in der Sammlung des Kunsthaus Zürich erweitern Bilder und Skulpturen unser Hören. Eine Einladung zum Selbstversuch.

TEXT CORINNE HOLTZ

Seit Jahrhunderten sind Menschen der Beziehung zwischen Musik und Farbe auf der Spur. Isaac Newton etwa glaubte, das Spektrum habe sieben verschiedene Farben, die den sieben Tönen der diatonischen Tonleiter entsprechen. Im 18. Jahrhundert entwarf man Farbenklaviere, auf denen jeder Ton von einer bestimmten Farbe begleitet war. Den Tonarten schrieb man bis ins 19. Jahrhundert Farbeigenschaften zu: Es-Dur funkelt golden, cis-Moll klingt grau und düster. Tatsächlich gibt es Menschen, die Farben und Formen sehen, wenn sie Musik hören.

«Wenn die Geige allein einsetzte, war ich plötzlich erfüllt von Gold und Feuer, und mit einem Rot, so strahlend, dass ich mich nicht erinnern konnte, es jemals an einem Gegenstand gesehen zu haben. Als die Oboe an der Reihe war, wurde ich von einem klaren Grün durchflossen, so kühl, dass ich den Nachthauch zu spüren meinte. Ich sah Musik zu sehr, um ihre Sprache zu sprechen.»

Wenn eine Sinneswahrnehmung automatisch eine andere hervorruft, sprechen wir von Synästhesie. In der Grosshirnrinde sind dann zwei oder mehrere sensorische Areale gleichzeitig aktiv. Musik ist eine der häufigsten und spektakulärsten Spielarten dieses Phänomens. Erblindet ein Mensch wie der oben zitierte Schriftsteller Jacques Lusseyrans, kann sich paradoxerweise die visuelle Vorstellungstätigkeit sogar noch steigern. Für die meisten Menschen bleibt die Assoziation zwischen Musik und Farbe auf Vergleiche beschränkt: auf das «wie» und das «als ob». Dass die zweite Sinfonie von Brahms in D-Dur blau ist und ein Satz in g-Moll ocker wie in der Wahrnehmung des US-amerikanischen Komponisten Michael Torke, lesen wir in Oliver Sacks Klassiker Der einarmige Pianist. Über Musik und Gehirn. Torke hat in seiner Farbmusik für Orchester Tonarten mittels Farben erkundet und sich ab 1985 vom «Ekstatischen Orange» über «Grün» und «Lila» zum «Aschgrau» vorgearbeitet.

«Bei Konzerten kam mir das Orchester wie ein Maler vor. Es überflutete mich mit allen Farben des Regenbogens.»

JACQUES LUSSEYRANS

Im Wandelkonzert durch die Sammlung sind Sie zum Selbstversuch eingeladen.

Bläst Edward Munchs Militärkapelle einen nachtblauen Marsch (Musik auf der Karl Johan Strasse)? Zupfen Pablo Picassos Gitarren flaschengrüne und nussbraune Töne (Gitarre auf Tischchen; Gitarre, Glas, Fruchtschale)? Fliegt Alexander Calders Cello in gelb (Cello auf einer Spindel)?

Vielleicht hilft Ihnen auch ein Likör auf die Sprünge. Der Autor Joris-Karl Huysmans verglich im Kultroman Gegen den Strich (1884) den jeweiligen Geschmack süsser Spirituosen mit einem Musikinstrument: trockener Curaçao korrespondiere mit einer Klarinette, Kümmel mit einer Oboe und Pfefferminzlikör mit einer Flöte.

Was Sie im Wandelkonzert hören und sehen werden, bleibt Ihr Geheimnis und die dazu gespielte Musik eine Überraschung.

WANDELKONZERT FR, 18. MÄRZ, 19.30 UHR KUNSTHAUS ZÜRICH

Zürcher Kammerorchester

CHF 40 Überraschungsprogramm