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America, the Beautiful

Jazz und Klassik. Zwei Geschwister, die sich selten die Bühne teilen. Während George Gershwin Jazz ins Orchester brachte, gelang es Duke Ellington, das Orchester in den Jazz zu bringen. Fasziniert vom musikalischen Reichtum der 1930er-, 1940er- und 1950er-Jahre in den USA, bauen Daniel Hope und das Zürcher Kammerorchester gemeinsam mit dem renommierten Marcus Roberts Trio eine Brücke über musikalische Grenzen und Kontinente hinweg. Das Ergebnis ist ab Februar auf einem neuen Album zu hören: America.

INTERVIEW PETRA MEYER

Daniel, du bist seit dem Jahr 2016 Music Director des Zürcher Kammerorchesters. Das neue Album America ist bereits die siebte gemeinsame Einspielung für Deutsche Grammophon. Seit wann hattest du den Plan, ein Album mit neu arrangierten amerikanischen Jazzstandards aufzunehmen? Das ZKO und ich haben eine grossartige Reise hinter uns und sind in diesen fünf Jahren eng zusammengewachsen. Unsere Zusammenarbeit inspiriert und fasziniert mich jeden Tag mehr. Das Amerika-Projekt hatte ich allerdings schon etwas länger im Kopf. Es war ein Wunsch von mir, die amerikanische Musik der 1930er-, 1940er- und 1950erJahre zu untersuchen. Das sind dreissig Jahre, in denen enorm viel passiert ist: Das Ende der Prohibition, die Bürgerrechtsbewegung, der Zweite Weltkrieg. Der Jazz hat sich nicht nur erfunden, er hat sich rasant entwickelt. Vor allem durch Duke Ellington und George Gershwin, für mich zwei zentrale Säulen der amerikanischen Musik.

Auf dem Album sind neben der Sängerin Joy Denalane, der Pianistin Sylvia Thereza und dem deutschen Jazzgitarristen Joscho Stephan auch das amerikanische Marcus Roberts Trio zu hören. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit über die Kontinente hinweg? Der Gedanke, diese Einspielung gemeinsam mit dem ZKO zu machen, entstand bereits 2016. Wir waren zu Gast in Georgia beim «Savannah Musik Festival», wo ich von 2004 bis 2019 als «Associate Artistic Director» tätig war. Wir hatten das Glück, dort mit Marcus Roberts zusammenzuarbeiten. Er ist einer der besten und renommiertesten Jazzmusiker unserer Zeit – ein Genie. Es passiert selten, dass ein etabliertes, hochangesehenes Jazztrio sich für klassische Musik öffnet. Und es passiert mindestens genau so selten, dass ein klassisches Ensemble sich auf den Jazz einlässt. Entweder fehlt das musikalische Verständnis für die beiden Welten oder das Können ist nicht ausreichend vorhanden. Aber diese Begegnung war anders. Bereits bei der ersten Probe habe ich gesehen, wie die Augen unserer Musiker*innen geleuchtet haben. Marcus Roberts war ebenso beflügelt davon, die beiden Welten zusammenzubringen. Nach diesem Erlebnis war mir klar, dass ich genau in dieser Konstellation für unser Amerika-Projekt in ein Studio gehen möchte. Es hat halt ein bisschen gedauert! Wir hatten sechs andere Einspielungen zu machen, eine Pandemie kam dazwischen und die ganze Welt drohte aus den Fugen zu geraten. Aber ich gebe nicht so leicht auf.

Auf dem Album ist das Stück America, the Beautiful zu hören. Ein patriotisches Werk, das auch als inoffizielle Nationalhymne bezeichnet wird. Was bedeutet Amerika für dich? Woher kommt deine innige Verbindung zur US-amerikanischen Musikkultur? Ich habe ein enges Verhältnis zu Amerika und zur amerikanischen Musik. Ein Teil meiner Familie stammt aus Deutschland, ist aber in die USA emigriert. Es sind richtige Amerikaner geworden. Die Musik hat mich aber schon immer fasziniert. Ich bin regelrecht verliebt in die amerikanische Musik.

Eine Person, mit der du regelmässig zusammenarbeitest, ist der englische Pianist, Komponist und Arrangeur Paul Bateman. Alle Werke, die auf America zu hören sind, wurden von ihm bearbeitet. Wie kam es zur Auswahl der Stücke? Paul Bateman hat sich so feinfühlig den Stücken und deren Historie genähert. Da ist z.B. Duke Ellingtons Come Sunday aus dem Jahr 1942. Ellington schrieb es als ersten Teil einer Suite mit dem Titel Black, Brown and Beige. Das ist ein Musiktheaterstück, das die gesamte Geschichte der afroamerikanischen Musik erzählt. Come Sunday ist eine Hymne daraus. Kurioserweise wurde es in den 50er-Jahren von Yehudi Menuhin und Duke Ellington für das amerikanische Fernsehen gemeinsam eingespielt.

Ein weiteres Werk stammt aus der Feder von Florence Price. Sie ist die erste afroamerikanische Musikerin, die in den USA als Komponistin von klassischer Musik bekannt wurde und von der eine Sinfonie von einem der führenden amerikanischen Orchester gespielt wurde. Nach ihrem Tod geriet sie allerdings in Vergessenheit. Was hat dich dazu bewogen, ein Werk von ihr für America auszuwählen? Es war mir ein grosses Anliegen Florence Price auf diesem Album zu haben. Ich war sehr gerührt von ihrer Geschichte und der Tatsache, dass jetzt endlich ihre Musik zelebriert und angenommen wird. Ich habe mich für Adoration entschieden, ein bewegendes Orgelstück, das ebenfalls von Paul Bateman bearbeitet wurde. Die meisten Menschen haben ein sehr genaues Gefühl dafür, was amerikanische Musik ist, ohne dass sie es erklären können. Was zeichnet deiner Meinung nach den spezifischen Klang Amerikas aus? Dazu fällt mir der tschechische Komponist Antonín Dvorák ein, der von 1892 bis 1895 in den USA gelebt hat. In einem Interview machte er eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Aussage zur amerikanischen Musik. Es sagte, in den Afroamerikanischen Melodien Amerikas habe er «eine grosse und edle Schule der Musik» entdeckt. Seinerzeit löste das Interview mit ihm einen Skandal aus. Ich kann Dvorák nur zustimmen. Die Lieder aus der afroamerikanischen Musik sind Grundlagen, um die amerikanische Musik zu verstehen und zu erkennen, wie edel und erhaben sie ist. Für den Jazzmusiker Marcus Roberts hingegen verkörpert die amerikanische Musik alles, was den Menschen umgibt: Trauer und Hass, Liebe und Schwierigkeiten. Eben, den Blues! Aber immer mit der Aussicht, das am Ende alles okay sein wird. Dieser Grundoptimismus hat seine Wurzeln im Leben der Schwarzen Musiker, die ihre ganze Fantasie und Vorstellungskraft von einem besseren Leben, in ihrer Musik ausleben mussten.

Das Thema Migration zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Album. Gershwin, Bernstein, Copland: sie alle hatten osteuropäische Vorfahren. Kurt Weill hat sich in den 30er-Jahren auf der Flucht vor Verfolgung auf den Weg nach Übersee gemacht. Themen, die auch in deiner Biografie eine Rolle spielten.

Ein grosser Teil meiner Biografie ist von Migration und Rassentrennung betroffen. Ich wurde in Südafrika geboren, musste allerdings als Kind schon das Land verlassen, weil mein Vater gegen die Apartheid gekämpft hat und das Leben nicht mehr sicher war. Meine Familie besteht eigentlich nur aus Migranten, genau wie Amerika. Das Land besteht nahezu zu 90 Prozent aus Menschen, die irgendwann in ihrem Leben dort gelandet sind.

Im Februar geht es mit dem neuen Album im Gepäck auf Deutschland-Tournee. Ihr besucht acht Städte in zwölf Tagen. Ein strapaziöses Programm. Was gibt dir die Kraft, auf der Bühne immer wieder Vollgas zu geben? Wenn ich am Abend mit meinen Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne stehe, dann schaue ich in deren freudige Gesichter. Egal wie lange die Fahrt gedauert hat, die Augen strahlen, alle sind voller Energie und Elan. Dann ist jede Art von Müdigkeit wie weggefegt. Das hat mit der Liebe zur Musik zu tun und mit dem Respekt, den wir füreinander haben. Und eine Prise Adrenalin ist natürlich auch dabei! Ausserdem waren wir jetzt lange «eingesperrt». Der natürliche Zustand eines Musikers ist das «on the road» sein, um sein Publikum zu erreichen.

Daniel Hope – America erscheint am 4. Februar 2022 bei Deutsche Grammaphon.

TOURDATEN

DI, 1. FEB. 2022, 20.00 UHR DIE GLOCKE, BREMEN

MI, 2. FEB. 2022, 20.00 UHR PRINZREGENTENTHEATER, MÜNCHEN

FR, 4. FEB. 2022, 19.30 UHR GROSSER SENDESAAL IM NDR LANDESFUNKHAUS HANNOVER

SA, 5. FEB. 2022, 20.00 UHR KONZERTHAUS BERLIN

SO, 6. FEB. 2022, 20.00 UHR STAATSTHEATER BRAUNSCHWEIG

MI, 9. FEB. 2022, 20.00 UHR ELBPHILHARMONIE HAMBURG

FR, 11. FEB. 2022, 20.00 UHR TONHALLE DÜSSELDORF

SA, 12. FEB. 2022, 20.00 UHR ALTE OPER FRANKFURT

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